Zum Hauptinhalt springen

Zwischen Stockrosen und Steinen – Ein Sommertag in Talmont-sur-Gironde

·4 min

Flohmarkt in Talmont-sur-Gironde #

Pfingstmontag, der 9. Juni – im Schatten zweier großer Bäume steht eine lange Tafel, gedeckt mit buntem Geschirr und halb geleerten Karaffen. Stimmengewirr liegt in der Luft, vermischt mit dem Klappern von Besteck und dem Kichern eines Kindes, das zwischen einem alten Schaukelpferd und einem Verkehrszeichen Verstecken spielt. Rundherum liegen Flohmarktartikel wie beiläufig verstreut: Blechschilder, vergilbte Postkarten, ein grüner Kinderroller mit rostigen Griffen. Und mittendrin, als wäre es das Normalste der Welt, sitzen ein paar Standbetreiber beim Mittagessen – mit Pastis, Tomatensalat und einem Lächeln, das man nicht kaufen kann.

Ein grüner Tretroller, ein verblasstes Blechplakat, ein Tempo-30-Schild – scheinbar achtlos arrangiert, und doch perfekt inszeniert vom Zufall. Der Flohmarkt in Talmont fühlt sich eher wie ein französisches Familienpicknick an als wie ein Verkaufsstand.

Ein Dorf wie aus dem Bilderbuch – doch statt inszenierter Tourismusidylle begegnet uns hier echtes Leben. Und genau das macht Talmont-sur-Gironde so besonders.

Blühende Stockrosen säumen die Gassen von Talmont wie gemalt – während sich Besucher in der Mittagssonne treiben lassen. Ein Ort, der sich eher flüstert als aufdrängt.

Durch die Gassen treiben #

Beschwingt vom Plaudern und Klappern unter den Bäumen lassen wir uns durch die Gassen treiben. Der Kies knirscht unter den Sohlen, die Mittagssonne malt helle Flecken auf die Mauern. Links lockt eine kleine Töpferei mit bunten Blumentöpfen, Tellern in Sonnenfarben, daneben Karaffen mit geschwungenem Henkel – jede ein Unikat, jede bereit, das nächste Picknick aufzuhübschen.

Gegenüber lehnt ein Holzschild an der Wand: „Créations en bois flotté“. Ein Atelier, das sich ganz dem Treibholz verschrieben hat. In der Tür hängt ein Seepferdchen, sorgsam aus sonnengebleichtem Holz zusammengesetzt, montiert auf einem blau gestrichenen Fensterladen. Die Farbe, das Licht, das Motiv – für einen Moment bin ich nicht mehr hier, sondern auf Santorini, in einem Gässchen mit Blick auf das Meer.

Ob Treibholz-Seepferd auf türkisfarbener Tür oder bauchige Töpfe in kräftigen Farben – die kleinen Ateliers in Talmont bieten mehr als Souvenirs: Sie sind kleine Galerien am Wegesrand.

Ein Friedhof mit Charakter #

Am Ende der Gassen erhebt sich die Kirche Sainte-Radegonde – trutzig, aus hellem Stein gebaut, mit Blick auf die weite Gironde. Der Wind weht vom Fluss her, bringt den salzigen Geruch des Wassers mit sich.

Wir lehnen uns an die hüfthohe Mauer des alten Friedhofs. Darunter: ein geordnetes Durcheinander aus verwitterten Steinen, schiefen Kreuzen und wilder Blütenpracht. Bauernrosen, Lavendel, Gras – als hätte die Natur selbst beschlossen, sich der Pflege anzunehmen. Kein Kiesweg, kein frisch gestutzter Rasen – stattdessen ein lebendiger Teppich, durchzogen von Vergänglichkeit und Trotz.

Ein Ort, der nicht verwildert wirkt – sondern frei. Ganz still, ganz bei sich.

Verblasste Steine, wilde Blumen, schiefe Kreuze – auf dem alten Friedhof von Talmont scheint die Natur selbst für das Gedenken zu sorgen. Ein stiller Ort voller Würde, jenseits jeder Symmetrie.

::: info Wer war Sainte-Radegonde?

Sainte-Radegonde war eine thüringische Prinzessin aus dem 6. Jahrhundert, die als Heilige verehrt wird. Nach der Ermordung ihrer Familie durch ihren Ehemann, den fränkischen König Chlothar I., floh sie aus dem Hofleben und widmete ihr Leben den Armen und Kranken. In Poitiers gründete sie ein Kloster und wurde später heiliggesprochen.

Die Kirche von Talmont-sur-Gironde trägt ihren Namen – ein seltener Brückenschlag zwischen französischer und deutscher Geschichte. :::

Zwischen rissigem Mauerwerk und wildem Bewuchs erhebt sich die Kirche Sainte-Radegonde wie ein romanisches Bollwerk über der Gironde. Ein Ort, an dem Zeit kein Widerspruch ist.

Ein letzter Blick aufs Wasser #

Ein paar Schritte weiter öffnet sich der Blick – auf das Wasser, auf die carrelets, diese hölzernen Fischerhütten auf Stelzen, mit ihren ausladenden Netzarmen, die wie ruhende Flügel über der Gironde schweben. Ich balanciere am Geländer entlang, suche den richtigen Winkel, das passende Licht. Mal von unten, mal durch das Geäst, mal mit Gegenlicht. Ein Versuch, dieses Gefühl einzufangen, das man eigentlich nur spürt: diese Mischung aus Wind, Holz, Salz und Licht.

Hinter mir liegt ein kleiner Park, in dem andere längst zur Ruhe gekommen sind. Einige dösen im Schatten, andere haben Decken ausgebreitet und holen Käse, Baguette und Aprikosen aus mitgebrachten Taschen. Stimmengewirr, Lachen, das Rascheln von Papier – das leise Geräusch eines Tages, der sich nicht beeilen muss.

Wie eine vergessene Skulptur steht die alte Fischerhütte über dem Wasser. Netz und Holz erzählen leise vom Meer – und von einem Handwerk, das längst vom Wind getragen wird.

Manchmal reicht es, still stehen zu bleiben – und die Szene fotografiert sich von selbst.

::: info Was sind „carrelets“?

„Carrelets“ sind traditionelle Fischerhütten auf Stelzen mit großen quadratischen Netzen, die an einem Ausleger über das Wasser gehängt werden. Diese Form des Fischfangs ist typisch für die Atlantikküste Frankreichs und gehört fest zum Landschaftsbild – besonders an der Gironde-Mündung.

Heute dienen viele dieser Hütten mehr der Fotografie als dem Fischfang – aber sie erzählen leise von einer vergangenen Zeit. :::